Von Monika Heer
Dass Sandro Botticelli, Haus- und Hofmaler der reichen Familie der Medici, seine „Geburt der Venus“ als bildgetreue Umsetzung des griechisch-antiken Mythos malte, ist hinlänglich bekannt. Doch bereits zwei Jahre früher, um 1483 entsteht das Gemälde „Venus und Mars“, auf dem ein gänzlich entwaffneter, schlafender und nackter Mars zu sehen ist...
Venus sitzt ihm aufmerksam und hellwach gegenüber, während die kleinen Satyrn sich mit dem Kriegsgerät des Mars vergnügen. In der Folge werden Mars und Venus bis zum Ende des 18. Jahrhunderts das beliebteste mythologische Paar der abendländischen Kunstgeschichte. Zahlreiche Gemälde von Ferdinand Boucher über Tiziano Vecellio, Tintoretto, Bordone und Bartholomäus Spranger sind dem Gott des Krieges und der Göttin der Liebe gewidmet.
Inhaltlich lassen sich bei aller Vielfalt zwei zentrale Motivgruppen feststellen. Neben dem Ausgleich der gegensätzlichen Kräfte und dem Sieg der Liebe über die Waffen wird die Entdeckung der heimlichen Liebschaft durch den Ehemann der Venus, durch Vulkan, besonders gerne in Szene gesetzt. Mit der Darstellung des Mars, der sich von der Liebesgöttin besiegen lässt, wird natürlich die klassisch-griechische Deutung von Mars-Venus-Aspekten zitiert und aufgegriffen. Trotzdem könnte es lohnenswert sein, die astrologische Literatur für den Zeitraum von 1500-1700 im Hinblick auf Mars-Charakteristika einmal genauer zu erforschen. William Lilly kann jedenfalls in seiner „Christian Astrology“ dem Mars immerhin schon einige positive Eigenschaften abgewinnen, er nennt ihn zuversichtlich, standhaft, furchtlos und tapfer, selbstredend nur in guten Würden. Doch Lilly schreibt auch: „Nur Venus zählt zu seinen Freunden. Feinde sind alle anderen Planeten.“ (Anm. 9)
Das Rätsel der Marsbahn
Als William Lilly 1602 geboren wird, sitzt ein anderer großer Astrologe gerade auf Schloss Benatek bei Prag und zerbricht sich den Kopf, um das Rätsel der Marsbahn zu lösen. Es ist Johannes Kepler, der vom habsburgischen Kaisers Rudolf II. zum Hofastronom ernannt wird, als Tycho Brahe1601 unter mysteriösen Umständen plötzlich verstirbt. Der berühmte Däne ist erst zwei Jahre vorher nach Prag an den Hof des Kaisers gelangt.
Vorher hat er rund zwei Jahrzehnte auf einer Insel mit eigener Sternwarte astronomische Messdaten gesammelt. „Uraniborg“ und „Stjerneborg“ heißen die Beobachtungsstationen, für die der begeisterte Astronom Globen, Armillarsphären, Quadranten und Sextanten nach eigenen Entwürfen anfertigen lässt. Und der berühmte Mauerquadrant wird hier errichtet. Brahe kennt natürlich das neue Weltbild des Kopernikus, lehnt es jedoch aus religiösen Gründen ab, obgleich er schon 1572 durch seine Beobachtung eines Kometen herausfindet, dass das aristotelische Weltbild mit seinen Kristallsphären nicht stimmen kann. Er entwickelt eine Zwischenlösung, doch auch sein tychonisches Weltbild (Anm. 10) kann die Schleifen, die Mars auf seiner Bahn am Himmel bildet, nicht erklären. Auch die unstete Bewegung des roten Planeten gibt dem Dänen weiterhin Rätsel auf. Seine Marsbeobachtungen erstrecken sich schließlich über einen Zeitraum von 16 Jahren und besitzen eine bis dahin nicht erreichte Genauigkeit.
Das Weltbild des Tycho Brahe
Als Tycho Brahe Ende des 15. Jahrhunderts Dänemark verlassen muss und in Kaiser Rudolf II. einen neuen Mäzen findet, sorgt er dafür, dass Johannes Kepler als Hilfsrechner angestellt wird. Kepler hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits als Mathematiker und Astronom einen Namen gemacht. Brahe beauftragt ihn Anfang 1600, das Rätsel um die Marsbahn mit Hilfe der genauen Messdaten mathematisch zu lösen.
Erst 1606 schließt Johannes Kepler die Arbeit an seiner „Astronomia Nova“ ab, 1609 wird sie gedruckt. In zahlreichen, mühseligen Rechenschritten gelingt es ihm, die exzentrische Umlaufbahn des Mars zu erkennen und zu bestimmen. Kepler weist außerdem nach, dass die Planetenbahnen elliptisch sind. Während er in seinen früheren Werken himmlische Intelligenzen oder Seelenkräfte als Ursache der Planetenbewegung angenommen hat, geht er jetzt von magnetischen Kräften aus, die von der Sonne ausgeübt werden. Die ersten beiden Gesetze der Planetenbewegung, die er in der „Astronomia Nova“ niederlegt, sind somit ein Ergebnis von Keplers jahrelanger Arbeit an einem Mars-Problem.
1686 entdeckt Isaac Newton das Gravitationsgesetz. Damit ist die Ursache für die Bewegung von Himmelskörpern gefunden. Es ist der letzte Baustein, um zu belegen, dass das geozentrische Weltbild falsch sein muss. Doch Galileo Galilei wird erst 1992 (sic!) von der Kirche rehabilitiert. Bekanntlich ist er 1633 vor der Inquisition in Rom unter Androhung von Folter gezwungen worden, dem heliozentrischen Weltbild abzuschwören. Beim Hinausgehen aus dem Gericht soll er der Legende nach gesagt haben: "Und sie bewegt sich doch!"
Der Weg in die Moderne
Rund 100 Jahre nach Newtons Entdeckung entsteht mit der Geschichtsphilosophie des deutschen Idealismus der Begriff Zeitgeist. Damit ist eine geistige Grundhaltung innerhalb bestimmter historischer Epochen gemeint, sie drückt sich in Stilen, Ideen und Lebensformen aus.
Auch der Begriff Fortschritt bekommt ab Mitte des 18. Jahrhunderts einen Platz im Bewusstsein des modernen Menschen. Erst seit diesem Zeitpunkt ist es möglich, den Verlauf von Zeit linear zu betrachten. Zeit wird zu einer geraden Linie, die in der Vergangenheit ihren Ursprung hat und über eine Gegenwart in die Zukunft vorwärts schreitet. (Anm. 11)
Die Astrologie als eine ganzheitliche und zyklische Sicht vom Lauf der Welt ist damit endgültig obsolet geworden. Die Spaltung von Astronomie und Astrologie trägt ihren Teil dazu bei, die mittelalterliche Königin der Wissenschaften ins Reich des Aberglaubens zu verbannen.
Erst mit der sogenannten revidierten Klassik und einer psychologischen Astrologie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden innovative Denkansätze entwickelt, um Astrologie erneut in Augenhöhe mit dem Zeitgeist zu betreiben. Elementare Errungenschaften der Moderne wie etwa Selbstbestimmung, Eigenverantwortung, Kenntnis der Geschlechterdifferenz, Freiheit des Individuums oder Religionstoleranz werden vielfach (wenn auch nicht überall) in die Deutung hineingenommen und als wichtige Parameter einer Ethik in der astrologischen Beratung reflektiert.
Mit dem Beginn eines neuen Jahrtausends und dem Zeichenwechsel der äußeren Planeten von 2008 bis 2012 sind tiefgreifende Paradigmenwechsel in Gang gekommen. Auch die Astrologie des 20. Jahrhunderts wird sich weiter verändern müssen, um sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Der Blick auf die Geschichte kann uns dabei helfen, die tiefe Weisheit der astrologischen Symbole in ein zeitgemäßes Gewand zu kleiden. Das Wissen um die historischen Veränderungen kann uns Mut machen, eine astrologische Deutung kontinuierlich weiter zu entwickeln.
Anmerkungen
9 - William Lilly. Christliche Astrologie. Tübingen 2007, S. 90
10 - 1577 beschreibt Tycho Brahe dieses Weltbild in seinem Buch über den Kometen, den er ab 1572 sorgfältig beobachtet hatte. Er sieht die Erde weiterhin als Mittelpunkt des Weltalls, die Fixsternsphäre und alle Planeten drehen sich in 24 Stunden um diesen Mittelpunkt. Doch die Sonne ist das Zentrum der Bahnen von Merkur und Venus, während die Bahnen von Mond, Mars, Jupiter und Saturn direkt um die Erde herum gelagert sind.
11 - Der Begriff Fortschritt taucht erstmalig in der "Encyclopédie" auf, die von Denis Diderot und Jean le Rond D`Alembert herausgegeben wurde. Das bedeutendste Werk der französischen Aufklärung erschien ab 1751 und wurde zum "Einleitungskapitel der Revolution" (Robespierre).
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