HomeGrundlagen & DeutungenAspekteSeparative und applikative Aspekte in der Radix

Separative und applikative Aspekte in der Radix

Von Sabine Bends

 Ein Plädoyer für eine neue Perspektive 
Definition
Als Astrologieschülerin habe ich gelernt, dass es einen Unterschied ausmacht, ob Aspekte schon über ihre exakte Stellung (0° Orbis) hinaus sind, also der Orbis im weiteren Verlauf der Planetenbewegung immer größer wird, oder ob sie sich ihrer exakten Position noch annähern, also der Orbis des Aspekts im weiteren Verlauf kleiner wird.

Aspekte, die noch exakt werden, nennt man »applikativ«, die anderen »separativ«. Dabei stellt sich natürlich direkt die Frage: Wann wird ein Aspekt noch exakter, wann ungenauer? Die Antwort darauf gibt z.B. Sue Tompkins in ihrem Buch Aspects in Astrology[1]: »...it is the faster-moving planet which applies to or separates from the slower-moving planet.« Der schnellere Planet definiert die Aspektart - ist er schon über den 0° Orbis hinaus, nennt man den Aspekt separativ. Nähert er sich dem 0° Orbis noch an, nennt man den Aspekt applikativ.

Ich lernte damals auch, dass applikative Aspekte wichtiger seien als separative. Richtig verstehen konnte ich es nicht. Ich fragte mich immer wieder, warum dies denn so sein solle. Sue Tompkins schreibt dazu: »If an aspect is applying then it will become exact after birth, sometime during the person's life, whereas if it is seperating it will have been exact before the individual was born. Probably partly because of this, many astrologers, including the writer, believe that applying aspects are much stronger than separating ones.« Übersetzt ins Deutsche schreibt sie also: »Wenn ein Aspekt applikativ ist, wird er nach der Geburt exakt, irgendwann im Laufe des Lebens, wohingegen ein separativer Aspekt schon vor der Geburt exakt war. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum viele Astrologen, inklusive der Autorin, davon überzeugt sind, dass applikative Aspekte stärker sind als separative.«

Mich hat das nie wirklich überzeugt. Sie? Möchten Sie wissen, warum es mich nicht überzeugt hat? Dann lesen Sie weiter...

Logische Überlegungen zur gängigen Argumentation
Ich fragte mich: Was heißt das genau, dass ein applikativer Aspekt nach der Geburt exakt wird? Wie und wo wird er exakt? Am besten wählen wir uns dazu ein anschauliches Beispiel. Ein Horoskopeigner hat Pluto auf 15° Jungfrau stehen und die Sonne auf 12° Schütze. Ein applikativer Aspekt also. Wann wird er exakt? Ungefähr 3 Tage nach der Geburt, wenn die Sonne auf 15° Schütze steht. In welcher astrologischen Methode spiegelt sich die Bedeutung und Exaktheit des Aspekts wieder? Im Transit? Nein. Einem Sonne-Transit zu Pluto am 3. Lebenstag messen wir keine übermäßige Bedeutung zu. In der sekundären Direktion vielleicht? Ja, schon eher. Wenn jeder Lebenstag einem Lebensjahr entspricht, dann wird in der symbolischen Betrachtung der Sekundärdirektionen (auch Progressionen genannt) das Quadrat zwischen Pluto und Sonne im 3. Lebensjahr exakt. Wir können also sagen: Ein applikativer Aspekt bekommt im Laufe des Lebens durch die Progression eine tiefere Bedeutung für den Horoskopeigner. Soweit so gut. Bis hierhin bin ich völlig einverstanden.

Doch wie ist es nun anders herum mit einem separativen Aspekt? Nehmen wir wieder an, Pluto stünde auf 15° Jungfrau, die Sonne jedoch auf 18° Schütze. Der exakte 0° Orbis ist bereits überschritten. Was geschieht in der Progression? Die Sonne entfernt sich noch weiter aus dem Aspekt und Pluto braucht in der Sekundärdirektion eine kleine Ewigkeit, viel länger als ein Menschenleben (ca. 3 x 365 Jahre, wenn wir annehmen, dass er ein Grad pro Jahr läuft und ein Tag einem Jahr entspricht), um sich 3° weiterzubewegen und sich der Sonne bis auf 18° zu nähern. Bis hierhin stimmt die Theorie, dass separative Aspekte unwichtiger seien, also immer noch.

Doch jetzt wird es interessant, denn: Was genau passiert im Transit? Pluto nähert sich im Transit dem Quadrat zur Sonne ja erst an. Wenn er auf 15° steht und die Sonne auf 18°, dann braucht er ca. 2-3 Jahre, bis der Transit exakt wird. Doch spätestens im 3. Lebensjahr ist es dann so weit. Er bildet ein exaktes Quadrat zur Sonne. Und wer schon einmal einen Pluto-Transit zur Sonne erlebt hat, weiß: Das ist ein einschneidendes Erlebnis. Diese Zeit vergisst man nicht. Sie geht nicht spurlos an einem vorüber. Und wer Plutotransite erlebt hat, weiß auch: Das ist keine Sache von ein paar Stunden oder Monaten, sondern von Jahren. Und wir spüren diesen Transit nicht erst, wenn er exakt ist, sondern schon ein paar Grad vorher. Und wir verarbeiten ihn auch dann noch, wenn er schon eine Weile vorüber ist.

Anschaulich - ein Beispiel aus dem Leben
Damit dies nicht graue Theorie bleibt, hier ein Beispiel aus meiner Praxis:
hor_angela


Angela, im Dezember 1965 geboren, hat Pluto auf 18° in der Jungfrau stehen und die Sonne auf 21° in Schütze. Ein separativer Aspekt. Sonne und Pluto sind Teil eines T-Quadrats, in dem auch noch Uranus und Chiron eine Rolle spielen. Plutos Stellung an der Spitze des fünften Hauses und die Beteiligung der Sonne lassen an ein mögliches Erleben dieser Konstellation über den Vater denken. Wir könnten uns vorstellen, dass ihr Vaterbild von Themen wie Macht und Ohnmacht geprägt sein könnte. Da Sonne und fünftes Haus aber auch ihre eigene Vitalität und Lebensfreude betreffen, sind auch hier tiefgreifende Erlebnisse vorstellbar. Mit Pluto, so wissen wir, wird leicht etwas unterdrückt, weil wir es als zu schmerzhaft erleben, um uns dem Thema zu stellen.

Im Leben von Angela drückte sich dies wie folgt aus. Ihr Vater war noch sehr jung, als sie zur Welt kam, und mit dem Leben und seinen Anforderungen überfordert. Er trank, war depressiv und brachte sich schließlich, als Angela drei Jahre alt war, um. Angela fand ihren Vater - ein zutiefst traumatisches Erlebnis für sie, das sie fest in ihrer Seele verschloss. Damit verschloss sie natürlich nicht nur die Erinnerung an ihren Vater, sondern auch den Zugang zu den Sonnenthemen in sich selbst: Lebensfreude, schöpferischer Selbstausdruck, Vitalität, Sexualität und vieles mehr. Es war so, als würde etwas in ihr sich selbst das Recht auf Leben und Lebendigkeit absprechen. Zusammen mit dem traumatischen Ereignis schlummerten all diese natürlichen Geburtsrechte tief in ihrem Unbewussten, verdrängt und unterdrückt.

Eine neue Perspektive
Dies ist nur eines von vielen Beispielen, denen ich in meiner Praxis begegnet bin, die mich haben gewahr werden lassen, wie bedeutsam ein separativer Aspekt im Laufe des Lebens für einen Menschen werden kann. Die Antwort auf die Frage, die ich mir eingangs gestellt habe, wurde so für mich immer klarer: Es gibt keine Hierarchie zwischen applikativen und separativen Aspekten. Die eine Aspektart ist nicht weniger bedeutsam im Leben als die andere. Sie werden beide im Laufe des Lebens auf die ein oder andere Art exakt, entweder in der Sekundärdirektion oder im Transit. Was Sie davon als wichtiger empfinden, möchte ich Ihnen selbst überlassen. Ich tendiere dazu, das Argument, welches besagt, dass der separative Aspekt ja schon vor der Geburt exakt war und daher im Laufe des Lebens an Wichtigkeit verliert, genau anders herum zu verwenden: Die Tatsache, dass ich vorgeburtlich schon einen bestimmten Aspekt erlebt habe und ihn im Transit nochmals erleben werde, macht ihn für mich um so bedeutsamer.

Warum? Schauen wir uns Angelas Beispiel an: Wenige Tage vor ihrer Geburt war das Quadrat zwischen Pluto und Sonne bereits exakt. Wie mag es ihrem Vater da gegangen sein? Spürte er einen vermehrten Druck der steigenden Verantwortung durch den nahenden Familienzuwachs? Wie viel davon übertrug sich auf Angela?

Angelas Geschichte geht weiter: In den vergangen Jahren erlebte sie die Transit-Konjunktion von Pluto über ihre Sonne. In dieser Zeit spitzte sich die Unterdrückung ihrer vitalen Lebensenergie zu. Sie wurde mehrfach extrem depressiv, hatte Nervenzusammenbrüche und dachte an Selbstmord. In diesen Jahren der erneuten Berührung von Sonne und Pluto kam sie ihren verdrängten Erinnerungen mehr und mehr auf die Spur. Sie verarbeitete das Trauma mit ihrem Vater und erfuhr, dass sich schon dessen Vater das Leben genommen hatte. Was Angela mit ihrem Vater und bei sich selbst erlebte, war also ein Familienthema, das weit in die Vergangenheit hineinragte. Ist ein vorgeburtlich erlebter Aspekt vielleicht eine Entsprechung für diesen Bezug zur Vergangenheit? Würden Sie so gesehen, immer noch sagen, dass ein vor der Geburt exakter Aspekt weniger wichtig ist als einer, der erst danach exakt wird? Ist es nicht möglich, dass Angela das Sonne-Pluto-Quadrat bereits erlebt hat, als sie noch im Mutterleib war? Trägt sie die Energie des Quadrates nicht viel mehr in sich als ein Mensch mit einem applikativen Aspekt, der dieses Quadrat "nur" in der Progression erfahren wird?

Ich möchte gar kein Statement dazu abgeben, was ich nun wichtiger finde, einen separativen oder applikativen Aspekt. Denn eigentlich stellt sich für mich diese Frage so nicht. Meine eigenen Überlegungen und Erfahrungen zeigen mir jedoch, dass ich gut daran getan habe, diese Aussage »applikative Aspekte sind bedeutsamer als separative« zu hinterfragen und sie nicht nur logisch zu durchleuchten, sondern auch in der Praxis zu überprüfen. Es ist meine Aufforderung an Sie, das Selbe auf jedem anderen Gebiet der Astrologie zu tun und sie somit immer wieder neu zu definieren und zu ihrer Entwicklung beizutragen. Glauben Sie nicht einfach alles, was in Büchern steht oder was Sie lernen. Vertrauen Sie auf Ihre eigenen Empfindungen, Ihrer Skepsis, Ihren Überzeugungen, Wahrnehmungen und Erfahrungen und lassen Sie uns alle daran teilhaben.

[1] Sue Tompkins, Aspects in Astrology - A Comprehensive Guide to Interpretation, Element Books Limited 1989, Seite 69
 
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