Lebensmuster

Von Brigitte Hamann

 Die Ursprünge unseres Fühlens und Handelns und wie sie unsere Wirklichkeit formen: Wie ein roter Faden? 
 
Vielleicht ging es einigen von Ihnen wie mir: schon als kleines Mädchen beschäftigte mich die Frage, warum Menschen das tun, was sie tun und warum sie es auf die Art tun, wie sie es tun? So wie andere kleine Kinder ein Spielzeug auseinandernehmen um zu sehen, wie es funktioniert, so hätte ich am liebsten Menschen mit einem Röntgenblick erforscht oder wäre gerne einmal eine Weile in ihre Person geschlüpft. Heute wie damals übt die innere Dynamik, die Menschen bewegt, eine große Faszination auf mich aus. Gleich ob ich mein eigenes Leben oder das eines anderen betrachte, immer lassen sich geheime, verwobene Muster erkennen, nach denen dieses Leben verläuft. Wir verleihen unserem Erleben Ordnung und Struktur indem wir bestimmte für uns charakteristische Gefühlszustände und Verhaltensweisen wiederholen. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, daß diese Muster durchaus nicht so schicksalsgegeben sind, wie wir sie empfinden mögen. Sie haben vielmehr mit der Art und Weise zu tun, in der wir die individuelle Wirklichkeit schaffen, in der wir leben. Häufig findet sich ein innerer Zusammenhang, bei dem sich Erfahrungen aus der frühsten Zeit unseres Lebens zu wiederholen scheinen. Wir erleben dieselben Ängste, Zurückweisungen und Verlustgefühle, aber auch dieselben Gefühle des Glücks und der Bestätigung, die wir schon als Kind gekannt hatten, ausgelöst von neuen Menschen und anderen Situationen und doch für unser Empfinden so identisch.

Wir reisen in der Zeit. Während wir heute hier und jetzt Beziehungen haben und unser Leben leben scheint es, als würden sich Vergangenes und Gegenwärtiges überlagern. Wir sehen die Dinge so, wie wir gelernt haben sie zu sehen, wir sehen sie so, wie wir glauben, daß sie sind und immer sein werden. Wir folgen einer inneren Erwartungshaltung, die sich dadurch zu bestätigen scheint, daß wir so häufig das Gleiche oder zumindest etwas sehr Ähnliches erleben.

Wie kommt es zu diesen Mustern?

Mit Sicherheit sind wir nicht das Produkt eines einzigen Einflusses, sondern wer wir sind wird von der Wechselwirkung mehrerer Faktoren bestimmt. Ein wesentlicher Punkt besteht in unseren Erbanlagen, die die Richtung für unsere körperliche und seelische Entwicklung vorgeben. Ihr Code bestimmt unser Aussehen, unsere instinktiven Reaktionsweisen und unsere Fähigkeiten. Es ist inzwischen erwiesen, daß wir auch Erfahrungen von unseren Vorfahren ererben. Damit kommen wir nicht als unbeschriebenes Blatt auf die Welt. Bereits im Mutterleib haben wir eine Urprägung, die jedoch in vielfacher Hinsicht noch sehr formbar ist. Vom Augenblick unserer Existenz an, also bereits als Fötus, unterliegen wir den Einflüssen der Umwelt, die mit unserer Grundveranlagung in eine Wechselwirkung treten. Wie ein Stück Ton geformt wird, so besteht unser gesamter Lebensweg aus einem Prozeß des Formens, auf dessen Resultat die Erfahrungen mit den frühen Bezugspersonen, die Erziehung, Ausbildung und die Gesellschaft mit ihren kulturellen, religiösen und politischen Normen einwirken.

Das Zusammenspiel von Anlage und Umwelt wird jedoch durch noch einen wichtigen Punkt beeinflußt und dieser Punkt besteht in der Frage, was wir selbst zum Ergebnis beitragen. In jedem Menschen gibt es das Potenzial zu einer kreativen Dynamik. Was letztlich darüber entscheidet, ob wir selbst aus schwierigsten Bedingungen etwas machen, das uns zufriedenstellt, oder ob wir ein Spielball unserer Gene und der Umwelt bleiben, läßt sich nicht genau bestimmen.

Um zu mehr Autonomie in unserem Leben zu gelangen, sollten wir unsere wirklichen, tiefsitzenden und oft versteckten Motivationen kennen. Diese Motivationen ziehen sich wie ein roter Faden durch unser Leben in Form von immer wiederkehrenden Gefühlen und Reaktionsweisen. Wir suchen uns vergleichbare partnerschaftliche, berufliche oder gesellschaftliche Situationen nicht nur im Guten sondern auch im Schlechten, und wir interpretieren neue Erfahrungen auf der Basis derer, die wir bereits gemacht haben. Dabei übersehen wir oft, daß jede Situation, jeder Mensch und jede Beziehung einzigartig ist und daß selbst prinzipiell vergleichbare Erlebnisse nicht wirklich identisch sind. Das tun wir so lange, bis wir den inneren Zusammenhang erkennen und lernen, darüber hinaus zu wachsen.

Diese Beständigkeit im Fühlen und Handeln gibt uns ein Gefühl der Identität. Wir wissen, wer wir sind und was wir vom Leben zu erwarten haben. Außerdem verfügen wir für jede Situation über ein fertiges Reaktionsmuster, eines, von dem wir meist als Kind gelernt haben, daß es sich bewährt hat. Wenn wir innerhalb dieser Grenzen bleiben und nichts Neues versuchen, gehen wir auch kein Risiko ein. Wir glauben uns in Sicherheit. Wir behalten also dieses Muster bei und übersehen, daß wir keine Kinder mehr sind, daß wir also andere, geeignetere Möglichkeiten haben. Unser emotionales Muster wird wesentlich durch die Erfahrungen geprägt, die wir im Mutterleib und später mit unserer Mutter oder der Ersatzperson machen. Sie beeinflußt maßgeblich den Anteil in uns, der passiv aufnehmend ist und der Geborgenheit und Urvertrauen sucht. Wenn wir über ein positives Mutterbild verfügen, sind wir in der Lage, uns zu entspannen und die Dinge in Ruhe auf uns wirken zu lassen, bis wir einen natürlichen Impuls aktiv zu werden verspüren.

Das archetypische Bild des Mütterlichen in der Astrologie ist der Mond. Wenn wir also unsere Erfahrungen mit diesem Aspekt des Lebens untersuchen wollen, sehen wir uns im Horoskop die Bereiche an, die dem Mondprinzip unterstehen, also das 4. Haus und den Mond selbst. Dies gilt auch wenn die Spitze des 4. Hauses nicht im Krebs liegt, denn das 4. Haus ist in seiner Grundbedeutung immer ein Krebshaus.

Entsprechend ist das archetypische Bild des Väterlichen die Sonne. Da die Sonne den Löwen regiert und damit die Grundthematik des 5. Hauses bestimmt, finden wir die Prägungen durch unseren Vater im 5. Haus und über die Sonne. Der Vater bzw. die Erfahrungen, die wir mit ihm machen, prägt unsere Handlungsweise. Wann immer wir etwas tun wollen, wann immer wir etwas in Angriff nehmen, wird unser Bild von ihm aktiv.

Obwohl weder das 4. noch das 5. Haus unsere Eltern so darstellen, wie sie tatsächlich in ihrer Gesamtpersönlichkeit sind, sagen sie doch genau aus, wie wir sie erfahren haben und welche Ähnlichkeiten zwischen ihnen und uns bestehen. Für die Praxis bedeutet das, daß wir über eine Interpretation dieser beiden Häuser die wichtigsten Einflüsse unserer Kindheit wiederfinden können. Wir entdecken uns selbst, wir entdecken welche Gefühle für uns charakteristisch sind und ob sie uns in dieser Form gut tun oder nicht und wir finden etwas über die Schwächen und Stärken unseres Verhaltens heraus. Wenn wir diese Erkenntnisse mit den Erfahrungen vergleichen, die wir gemacht haben, verfügen wir über einen wesentlichen Schlüssel zu unserem Leben.

Der Lebensplan
Erfahrung ist nicht etwas, das uns begegnet; sie ist, was wir mit dem, was uns begegnet, machen. Aldous Huxley

Die Art, wie wir das, was wir erleben, interpretieren, die daran geknüpften Gefühle und Handlungsweisen, die Schlüsse, die wir erneut aus unseren Erfahrungen ziehen, lassen sich in einem Lebensplan zusammenfassen. Er ist ein Bauplan unserer individuellen Wirklichkeit, ein Drehbuch für die Stationen und Inszenierungen unseres Lebens. Er steht in enger Beziehung zu dem, was wir als unsere Identität betrachten.

Dieser Lebensplan baut auf einer seelischen Grundstimmung, einer Erwartungshaltung darüber auf, was die Welt für uns bereithält. Er enthält zwei grundlegende Leitlinien: eine Art "Zielplan", also das, was wir in unserem Leben erreichen möchten, und einen "Vermeidungsplan", das, was unter keinen Umständen eintreten soll. Beide sind im Regelfall in weiten Bereichen weder deutlich bewußt noch eindeutig definiert. Sie enthalten mehr oder weniger diffuse Vorstellungen darüber, was zu tun und was zu lassen ist und erstrecken sich auf alle Bereiche des Lebens: auf den zu führenden Lebensstil, auf Leistungen, Berufswahl und Erfolg, auf die Suche nach einem geeigneten Partner und auf unser Verhältnis zur Sexualität, auf Partnerschaft und Ehe, auf religiöse Anschauungen und die Entscheidung darüber, wofür wir uns verantwortlich fühlen wollen oder glauben zu müssen.

Die essentiellen Themen unseres Lebensplans bilden sich schon sehr früh heraus. Die Erfahrung unserer Eltern und der frühen Atmosphäre, die Beobachtung anderer Kinder und Erwachsener, aber auch Geschichten und Märchen, Filme, die wir sehen, etwas, das wir lesen, Erlebnisse, die wir haben, all das bewirkt, daß unser Lebensdrehbuch immer umfangreicher und detaillierter wird. Wenn Erwachsene berichten, welches ihr Lieblingsmärchen war, oder ihr bevorzugter Held oder Heldin, so lassen sich unschwer daran Themen ablesen, die sich durch das Leben dieses Menschen ziehen.

Die von Eric Berne begründete Transaktionsanalyse bezeichnet den Lebensplan als Skript. In seinem Buch Was sagen Sie, nachdem Sie "Guten Tag" gesagt haben nennt Berne das Skript eine "psychologische Kraft, die den Menschen seinem Schicksal zutreibt - mag er es nun bekämpfen oder mag er behaupten, es handle sich um seinen eigenen freien Willen". Weiter führt er aus, daß er nicht die Absicht habe, alle menschlichen Verhaltensweise und alles menschliche Leben auf eine Formel (das Skript) zu reduzieren, daß jedoch ein Großteil der Menschen dieser Formel zu folgen scheint.

Einen ähnlichen Gedanken formuliert Gurdijeff, wenn er vom "Kampf gegen den Schlaf" spricht. Solange wir nicht aufwachen und die Kräfte erkennen, die unser Leben steuern, können wir nicht selbst am Steuer unseres Lebens sein. Wenn unser Lebensplan grundsätzlich konstruktiv ist und er eine positive Lebenseinstellung enthält, mit der wir uns wohl fühlen, brauchen wir nichts daran zu ändern. Doch dort, wo sich immer wiederkehrende Probleme ergeben oder wo das Glück uns zu entgleiten scheint, ist es wichtig, Licht ins Dunkel zu bringen.

Der Lebensplan ist eine starke und kreative Kraft im Menschen, ein Motor des Handelns, der uns, richtig gelebt, ein Gefühl der Sinnerfülltheit schenkt. Seine problematischen Seiten fordern uns auf, an uns zu arbeiten und uns zu entwickeln.

Unser Lebensplan macht uns gleichzeitig zu Individuen wie auch zu Wesen, die bestimmten grundlegenden Antrieben folgen, die einer Vielzahl von Menschen gemeinsam sind. Kein anderer Mensch hat ein Skript, das mit unserem identisch ist, und doch gibt es gewisse archetypische Muster, die wir mit vielen anderen teilen, nur leben wir sie auf unsere spezifische Weise aus. So ist der Lebensweg eines jeden Menschen einzigartig und doch sind wir mit allen Menschen verbunden. Das Gefühl einer Identität entsteht durch das, was in unserem Lebensplan enthalten ist.

Im Horoskop finden wir sowohl ein Bild der Erfahrungen, die ein Mensch gemacht hat, wie es auch eine Skizze seiner Neigung ist, die Dinge zu interpretieren und seine Wirklichkeit zu konstruieren. Mond, Merkur, Sonne - die Planeten des 1. Regelkreises des von Michael Roscher entwickelten Kybernetischen Modells -- beschreiben seinen Wirklichkeitszugang. Wenn wir diese Aussagen um diejenigen der Häuser 4 und 5 ergänzen, erhalten wir ein plastisches Bild der emotionalen Muster und der sich daraus ergebenden Reaktionen und Verhaltensweisen, ein Bild des Lebensplanes, das sich durch alle weiteren Deutungsfaktoren des Horoskops erweitern und vertiefen läßt.

Zum Abschluß möchte ich Oliver Sacks zitieren, den Autor der Bücher Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte und Der Tag, an dem mein Bein fortging. Seine Bücher handeln von der Frage nach Identität und von ihrem Verlust:

Jeder Mensch ist eine einzigartige Erzählung,
die sich unaufhörlich, unbewußt ... durch seine
Wahrnehmungen, seine Gefühle,
seine Gedanken und seine Handlungen
weiterentwickelt...
Der Mensch braucht eine solche Erzählung...,
um seine Identität, sein Selbst zu bewahren.
Wenn wir einen Menschen also wirklich
Kennenlernen wollen,
so fragen wir nach seiner Geschichte.

Literatur:
Patricia H. Miller: Theorien der Entwicklungspsychologie, Spektrum Akad. Vlg., Hdg. Jean Piaget: Probleme der Entwicklungspsychologie, (vergriffen); alternativ:
Jean Piaget: Das Weltbild des Kindes, dtv
Muriel Jones / Dorothy Jingeward: Spontan leben, (sehr gut, leider vergriffen)
Mary McClure Goulding, Robert L. Goulding: Neuentscheidung Ein Modell der Psychotherapie, Klett-Cotta
Nancy Friday: Wie meine Mutter, Fischer TB
Jean Liedloff: Auf der Suche nach dem verlorenen Glück, C. H. Beck Verlag
Irenäus Eibl-Eibesfeldt: Liebe und Haß, Zur Naturgeschichte elementarer Verhaltensweisen, Piper Verlag
Heinz von Förster, Ernst von Glasersfeld, Peter M. Hejl: Einführung in den Konstruktivismus.

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